Sie spielte Teufelin und hört Punk. Heute ist Karin Keller-Sutter (BPW Wil) die perfekte Thronfolgerin für den FDP-Sitz im Bundesrat. Wie ihr Mann sie unterstützt und welcher Traum ihr verwehrt blieb.
Karin Keller-Sutter
Bundesrätin
Bundesrätin Karin Keller-Sutter
Auf dem Reservationsschild im «La Moka» in der Altstadt von Wil steht «Karin, 12 Uhr». Zum Glockenschlag kommt Karin Keller-Sutter, 54, mit ihrem Mann Morten, 53, an der Hand und Hund Picasso an der Leine zur Tür herein – und wird von Restaurantbesitzerin Bigi Amstutz mit Küsschen begrüsst. In ihrer Heimat ist die Ständerats präsidentin und hoch gehandelte Nachfolgerin von FDP Bundesrat Schneider-Ammann einfach «d Karin». «Eini vo üs», bringt es Amstutz auf den Punkt.
«Meine politische Karriere begann am Stammtisch»
Die Wiler Restaurants prägen Keller-Sutters Leben. Hier führten ihre Eltern bis vor 35 Jahren das gutbürgerliche Restaurant Ilge. «Meine politische Karriere begann am Stammtisch», sagt sie. Wenn ihre Eltern über Bewilligungen oder das Personal diskutieren, lauscht Karin mit. Sie lernt, dass man kein Geld verteilen kann, bevor es nicht verdient ist. Die CVP, mit der ihr Vater sympathisierte, ist ihr aber zu konservativ. «Bei Diskussionen über die Fristenregelung oder die Drogenpolitik merkte ich, dass ich eine Liberale bin.» Auch die Liebe findet Keller-Sutter: in einer Wiler Beiz. Ihr Mann erinnert sich: «Ein Studienkollege kannte Karin von der Schule. Er hat mir immer wieder von ihr erzählt.» Etwa dass sie mit 17 quer durch Europa getrampt ist und sich zur Konferenz-Dolmetscherin ausgebildet hat. Und in London und Montreal Politikwissenschaften studiert hat. «Das beeindruckte mich. Ich dachte: Wann kommt sie endlich zurück?
Die beiden kennen sich seit 30 Jahren
1988 ist es so weit, Keller-Sutter und der Mediziner treffen in der Trinkstube Hartz aufeinander. «Im Juni feiern wir unser 30-Jähriges», sagt Morten Keller und strahlt seine Frau an. Ihr Geheimnis: «Wir können uns über alles austauschen – nur bei der Musik gibts Krach.» Sie mag Punk von The Clash, er Softrock von Chris de Burgh. «Da stelle ich ihm im Auto schon mal das Radio ab», sagt sie und lacht. Als Ständeratspräsidentin muss Keller-Sutter auch mal den Tarif durchgeben. Sie leitet die Sitzungen im Stöckli, ist Ansprechperson für die Bundesräte, fällt Stichentscheide. «Ich habe mir das zuvor weniger interessant vorgestellt. Doch das Präsidium ist spannend. Ich lerne den Politbetrieb von einer ganz anderen Seite kennen.
Ihre Entscheidung für das Amt sei aber auch eine Entscheidung für die Frauen gewesen. Denn vor ihr präsidierten gerade mal drei Frauen den Ständerat – und das meist am Ende ihrer Karriere. «Für mich war klar: Ich habe eine Verantwortung. Wir Frauen müssen sichtbar sein!» Als einziges Mädchen unter drei Brüdern, die neun bis dreizehn Jahre älter sind, lernt Keller-Sutter früh, sich durchzusetzen. Schon als Primarschülerin will sie an der Fasnacht keine Prinzessin mehr spielen, der die Jungs
Saublatern vors Gesicht halten. «Ich zog wie die Buben eine Teufelsmaske an. Als ich aufflog, war das Erstaunen gross – aber ich wurde akzeptiert.» In der Kanti ist Keller-Sutter Klassensprecherin, im Studium präsidiert sie die Fachschaft. «Nicht weil ich eine Streberin bin – ich habe einen grossen Gerechtigkeitssinn.» Mit 29 wählen sie die Wiler in den Gemeinderat, mit 33 ist sie Kantonsrätin, mit 36 schafft sie den Sprung in den Regierungsrat.
Ihr Kinderwunsch ging nicht in Erfüllung
Doch wer denkt, Keller-Sutters Leben sei einem strengen Plan gefolgt, täuscht sich. Es gibt auch Wünsche, die nicht in Erfüllung gegangen sind. Nach zwei Fehlgeburten platzt für das Paar der Traum von einer Familie. «Ich glaube nicht, dass ich mit Kindern heute im Ständerat sitzen würde. Alles im Leben hat etwas Schicksalhaftes», sagt sie nachdenklich.
Eine wichtige Rolle im Leben der Politikerin spielt ihr Hund Picasso. Die langen Spaziergängen mit «Picceli» im Wald helfen Keller-Sutter in turbulenten Zeiten den Kopf zu lüften. «Er darf einfach nicht sterben», sagt sie und krault den 15-jährigen Jack-Russell-Terrier, der nichts mehr hört und mit etwas glasigen Augen in die Welt blickt, hinter den Ohren. Wenn ihr Mann als Leiter der Gesundheitsdienste in Zürich arbeitet und sie in Bern den Ratsbetrieb leitet, passt der 89-jährige Schwiegervater auf das Tier auf. «Ein neuer Hund, das wäre schon von der Betreuung her schwierig.
So individuell wie Ihr Lebensstil
Ihre Chancen auf einen Bundesratssitz sind gut. Falls Keller-Sutter ihren Parteikollegen Johann Schneider-Ammann im Bundesrat beerben sollte, hätte sie für einen Hund sowieso kaum mehr Zeit. Als Frau und Ostschweizerin wäre sie prädestiniert für das Amt. Allerdings ist sie 2010 schon einmal ins Rennen gestiegen – und unterlegen. «Da fragt man sich schon, ob man sich das nochmals antun soll.» Mehr möchte sie zu einer allfälligen Kandidatur nicht sagen. «Der Job als Ständerätin erfüllt mich total.» Im Stöckli traut man ihr das Amt zu. «Ich sehe sie absolut als Bundesrätin», sagt SVP-Mann Alex Kuprecht, 60. Sie könne sich durchsetzen, sei sprachlich extrem stark. Auch ihr SP-Kantonskollege Paul Rechsteiner, 65, lobt ihre «Professionalität». Sie wirke auf den ersten Blick vielleicht etwas spröde, sei aber sehr herzlich, wenn man sie wirklich kenne.
«Ich bin, wer ich bin»
Vergessen ist der Titel «Blocher im Jupe», den Keller-Sutter während ihrer Zeit als Regierungsrätin und Präsidentin der Justiz- und Polizeidirektoren verpasst bekam. Statt Hooligans vor die Schnellrichter zu bringen, schafft sie heute bürgerliche Mehrheiten für eine AHV-Reform. Und der «Tages-Anzeiger» verneigt sich vor der «Grande». Sie selbst kann über die Etiketten nur schmunzeln. «Ich habe mich davon verabschiedet, eine Rolle zu erfüllen. Ich bin, wer ich bin.» Karin aus Wil.
* Dieser Artikel erschien in der Schweizer Illustrierten und wird mit freundlicher Genehmigung des Verlags, der Autorin und Karin Keller-Sutter nachgedruckt.
Autorin: Jessica Pfister
Foto: Fabienne Bühler
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